Dieser Text von Jens Christian Jensen erschien in dem Katalog der Ausstellung "Hans Peter Feddersen - ein Maler in Schleswig-Hostein", Kunsthalle Kiel, 15. Juni bis 26. August 1979.
Der 27jährige Hans Peter Feddersen schrieb im Jahre 1875 aus Weimar an seine spätere Frau: "daß ich es mal wieder so recht gefühlt habe, daß ich Friese durch und durch bin und daß friesischer Sinn und friesisches Wort meinem Herzen am willkommensten sind". - Vielleicht ist mit diesem Satz der Grund für seine 10 Jahre später erfolgte Rückkehr und Seßhaftwerdung in seiner nordfriesischen Heimat benannt. Dennoch ist dieser Rückzug in die Heimat, der zugleich ein Rückzug aus kunstbewegten und kunstreichen Städten und Landschaften in die karge Kunstferne der schleswig-holsteinischen Marsch bedeutete, ein über das Persönliche hinausreichendes Geschehnis: Wilhelm Leibl und Johann Sperl in Aibling und Kutterling, Karl Haider in Oberbayern und Wilhelm Busch in Niedersachsen, Leopold von Kalckreuth, der Freund, seit 1907 in Eddelsen. - Offenbar gilt der Grundsatz, wer nicht Professor an einer Akademie werden will oder werden kann, zieht sich in die Heimat zurück oder sucht sich doch wenigstens - fern von den Metropolen - einen sicheren, stillen Platz, an dem Menschen und Landschaft von vertrauten, einfachen und klaren Gesetzmäßigkeiten geprägt sind. (In diesen Zusammenhang gehört auch das Phänomen der Künstlerkolonien in ländlicher Umgebung, man denkt nur an die norddeutschen wie Dangast, Ekensund, Fehmarn, Sylt und Worpswede.)
Diesen Rückzügen Einzelner ist immer ein Ingredienz Furcht vor zu starker Konkurrenz beigemischt, dazu der Anflug von Resignation und der Wunsch, aus einer Welt zu flüchten, deren Kunstverstand und deren Kunstforderungen man weder akzeptieren noch erfüllen kann. Ganz sicher ist der bestimmende Antrieb aber der Wille, sich durchzuhalten in einer widrigen Welt, das eigene Talent zu bewahren und rein zu halten von Bedrängnissen und Verlockungen. Schließlich mag der Traum von einer elementaren Umwelt, die auch die eigene Kunstanschauung mit schöpferischer Kraft durchdringt, unbewußt entscheidend gewesen sein.
Das Werk Feddersen trägt nach dem stürmischen Beginn in Düsseldorf, Weimar, Kreuznach und wieder Düsseldorf seit der Rückkehr 1885 in den Kleiseerkoog unvermeindlich auch eigenbrötlerische Züge. Sie sind weniger Zeichen von Provinzialität als vielmehr Signale einer eigenwilligen, selbständigen Entwicklung, die sich nicht an den Stilbewegungen der Kunstzentren rasch orientiert, sondern die diese neuen Impulse erst dann verarbeitet, wenn das eigene schöpferische Bewußtsein reif dafür ist und nach Erneuerung verlangt. Einwirkungen des Jugendstils zum Beispiel werden deshalb von um 1900 bis um 1925 immer wieder deutlich faßbar. Es sind punktuelle Schübe, die das formale und farbige Konzept eines Bildes oder einer Bildfolge eindeutig bestimmen und im allgemeinen Kontext einer an der Wirklichkeit orientierten atmosphärisch bestimmten Malerei betont stilgebunden wirken.
Daher ist dieses Werk in Qualität und Stil ungleichmäßig. Hervorragendes steht neben Mittelmaß, Zeitspezifisches neben allgemeiner lichthaltiger Malerei, die ihre realistischen Grundlagen nicht verleugnet. Bestimmend ist in jedem Falle nicht ein Stilwollen, sondern die Bildimagination ist bei den Landschaften, dem Hauptthema, fast gänzlich abhängig von der Natur und dem Naturlicht, den Naturstimmungen, die der Künstler unablässig beobachtet und ins Bild setzt. Der Ausspruch des Malers "Es geht nichts über die Natur!" (Brief vom 3. März 1924) ist also wörtlich zu nehmen: die Naturwirklichkeit hat dieses Werk geformt.
Die Art, wie sich Hans Peter Feddersen in seiner kunstarmen Heimat als Künstler durchgehalten hat, ist bewunderungswürdig. Kaum je ist er zum Heimatmaler herabgestiegen. Die Problematik, die in seiner Position in der Abgeschiedenheit steckte, hat er klar erkannt. In einem Brief vom 27. Dezember 1918 schreibt er Folgendes: "Zunächst hat mal die Presse, die alles rubrizierende, mich zum Realisten gestempelt, dann spezialisierend zum Marschenmaler gemacht, und nun kommt der Irrtum, man verlangt von mir den 'Blick in die Marsch', den 'Marschhof' usw. und würde mich ohne weiteres zum erfolgreichen Ansichtsmaler degradieren. Ich sträube mich hiergegen und gebe solchem Ansinnen nur nach, wenn in ihm sich eine poetische Auffassung, ein musikalischer Klang usw. vereinen läßt, aber nur von wenigen Menschen wird dieses Streben gewertet, man würde mich mehr lieben, wenn ich porträtähnliche Ansichtskarten malte, die sich kontrollieren lassen."
Nie ist Feddersen zum Ansichtenmaler herabgesunken, sondern er hat die künstlerische Innovation festgehalten in seiner Abgeschiedenheit. Er hat durch sein Spätwerk bewiesen, daß er noch als Siebzigjähriger, ja als Achtzigjähriger fähig war, den eminent künstlerischen Anspruch zu verwirklichen, Realität im Bild so zu verwandeln, daß sie eine neue, elementare Ganzheit verkörpert. Seine beiden letzten Schaffensjahrzehnte sind geprägt von einer unverbrauchten Kraft, die sich von dem Naturvorbild befreit, die vom Gegenstand wegführt und auf eine emotionale und zugleich vergeistigte Naturschau abzielt. Gewiß, diese Malerei findet im Expressionismus eine Parallele, aber sie entfaltet sich im Wesentlichen eigenständig und konsequent aus der eigenen Schaffensentwicklung. Wieder ist hier zu beobachten, daß der sogenannte Zeitgeist auf die wachen, schöpferischen Menschen ermutigend wirken und buchstäblich angestauten Kräften Bahn brechen kann. Bei Feddersen ist dies der Fall gewesen.
Vielleicht hat sich der Maler in einen geheimen Wettstreit mit Nolde begeben? Womöglich wollte er ihm, dem Autodidakten, zeigen, daß sich auch ein konventionell erzogener akademischer Maler Freiheiten gegenüber der Natur ungestraft herausnehmen könne? Immer wieder muß man sich ja der Tatsache erinnern, daß die beiden Maler seit 1917 sozusagen Nachbarn gewesen sind und sicher einander im Auge hatten, wobei man davon ausgehen kann, daß Feddersen, als der Ältere, nicht eben gelassen den Trubel, den das Werk des Jüngeren auslöste, zur Kenntnis genommen hat. Darauf deutet auch der Brief vom 27. Februar 1927, in welchem die Sätze vorkommen: "Nolde ist offenbar (ernsthaft gesprochen) ein starkes Talent, besonders in coloristischer Hinsicht, aber er hat zuviel Wollen, zu wenig Müssen und zu wenig Können in sich und ist in eine Zeit hineingeraten, wo der künstlerische Blödsinn Trumpf ist... Nolde steht ja keineswegs alleine da, er ist doch immerhin ein Künstler, wenn auch seine Instinkte künstlerische Mißgeburten erzeugen..." - Diese Äusserungen enthalten alle Vorurteile der Zeit. Sie zeigen überdies, daß sich Feddersen nicht aus seiner in Jahrzehnten gewachsenen Kunstanschauung herauslösen konnte, vielmehr den Maximen seiner akademischen Schulung im Ganzen treu geblieben ist. Sein Werk aber hat diese engeren Begrenzungen durchbrochen und gibt – vergleicht man seine Himmel, seine "Hohe-Luft"-Studien mit Noldes Landschaften - ein gerechteres Urteil ab über den Anderen in Utenwarf oder später: Seebüll. Auch von diesem Aspekt aus ist eine Wiederbegegnung mit Feddersens Schaffen notwendig und von allgemeinem Interesse.
Noch ein anderer Aspekt kommt hinzu: Feddersen ist ein Jahr vor Christian Rohlfs geboren, und er wurde drei Jahre älter als der Studienfreund aus Weimarer Tagen 1874/1877. Das Werk beider Maler weist in Beginn und Entwicklung Parallelen auf. Rohlfs ist der Lebendige, jede neue Anregung sofort Aufgreifende, und er hat einen selbständigen Beitrag zum deutschen Expressionismus geleistet. Feddersen dagegen wirkt im Vergleich als der Beharrende, sich nur langsam Entwickelnde. Gemeinsam ist beiden, daß sie über die Jahrhundertwende hinweg ihr Werk kontinuierlich weitergeführt haben und damit zeigen, daß es direkte Wege vom 19. in das 20. Jahrhundert gegeben hat, deren Legitimation in sich selbst beruht. Die Grenzen zwischen den Jahrhunderten sind sehr fliessend und spotten jeder reinlichen Trennung.
Im September des Jahres 1925 dankte Max Liebermann Feddersen für eine gemalte Studie, die ihm der Maler vom Kleiseerkoog an den Wannsee geschickt hatte. Er schrieb: "Auch glaube ich mit Wilhelm Busch: 'was mal so ist, muß mal so werden'. Alles was aus dem Menschen wird, steckt in ihm, und Lernen, Erfahrung, kurz, alles von außen her - und das ist nicht wenig - können nur aus dem Innern des Menschen herausholen wollen, - aber hineinlegen können sie nichts, wenigstens nichts Wesentliches. Beweis: Ihre Studie. Sie stecken darin und deshalb ist sie ein Kunstwerk".
Man darf diese Sätze über ihren konkreten Anlaß hinaus als Beurteilung des Lebenswerkes von Hans Peter Feddersen nehmen: In allem "steckt" der Maler Feddersen, und deshalb ist es das Werk eines eigenständigen Künstlers, das nicht seiner Heimat allein gehört, sondern das der deutschen Kunst auf dem Weg vom 19. Jahrhundert in die Moderne als beachtliche Leistung zuzurechnen ist.