Die einführenden Worte zu der Ausstellung 2002 sprach Max Tauch :

2. August 2002
Sehr geehrter Herr Körs,
sehr geehrte Damen und Herren,

vor wenig mehr als 70 Jahren, am 4. November 1931, fand im Hotel Breidenbacher Hof die erste Versteigerung des neu gegründeten Kunst- und Auktionshauses Julius Stern statt. Bereits zuvor hatte Julius Stern eine Galerie betrieben. Zur Eröffnung eines Auktionshauses entschloss er sich, weil – wie er im Vorwort des ersten Auktionskataloges schrieb – „die wirtschaftliche Krise in einem nie dagewesenen Umfange alten Besitz zerstört und auf den Markt wirft.“  „Vielfach“, so Stern weiter, „zwingt eine eiserne Notwendigkeit die Besitzer, ihre Kunstwerke weit unter ihrem wahren Wert anzubieten, so dass heute erstrangige Bilder zu billigsten Preisen erworben werden können.“
Unter den von Stern damals angebotenen Gemälden der Düsseldorfer Schule befanden sich auch acht Werke von Gregor von Bochmann.
Erst ein Jahr zuvor, 1930, war der bereits zu Lebzeiten in hohem Ansehen stehende Künstler verstorben. Der zweite Weltkrieg und eine in der Zeit danach mehr am Abstrakten orientierte Kunst-, Kultur- und Musueumspolitik liessen  seinen Namen fast in Vergessenheit geraten. Selbst Wolfgang Hütt, der 1964 zu den ersten zählte, die versuchten, die Düsseldorfer Schule aus einem Schattendasein zu heben, gibt keinen Hinweis auf ihn. Dabei hätte er allen Grund gehabt. Stammte Gregor von Bochmann doch aus einem, wie man damals sagte, „Bruderstaat“ des in der ehemaligen DDR tätigen Autors Hütt, aus dem Baltikum. Am 1. Juni 1850 wurder Heinrich Gregor von Bochmann als das erste von drei Kindern auf Gut Nehat im Estland geboren. Der Vater war im Staatsdienst tätig. Er hatte sich im Krimkrieg als Oberst verdient gemacht und war daraufhin vom Zar Nikolas I. geadelt worden. Als Inspizient der estländischen Domänen des Zarenreiches führten ihn zahlreiche Reisen durch diesen Teil des Baltikums. Der kleine Gregor durfte den Vater hierbei begleiten. So wurde er bereits als Kind vertraut mit Land und Leuten und gewann bleibende Eindrücke, die sich später in seinen Bildern wiederfinden.
Als Gregor von Bochmann neun Jahre alt war, zog die Familie in die estnische Hauptstadt Reval, das heutige Tallinn. Hier besuchte er das Nicolai-Gymnasium. Sein Zeichenlehrer wurde Theodor Albert Sprengel, der die Düsseldorfer Akademie besucht hatte und dort in der Klasse des Historien-, Porträt- und Genremalers Theodor Hillebrandt als Meisterschüler tätig war. Sprengel erkannte das Talent des jungen Gymnasiasten. Er war es schliesslich, der dem Vater riet, Gregor 1868 auf die Akademie nach Düsseldorf zu schicken. Ein Stipendium, dass der begüterte estnische Landadel für junge Begabte ausgesetzt hatte, ermöglichte die Reise und den Aufenthalt fern von der Heimat.
In Düsseldorf begann Gregor von Bochmann seine Studien bei Andreas Müller. Dieser hatte selbst zunächst bei Julius Schnorr von Caroldsfeld und Peter Cornelius in München studiert. 1843 bis 1852 weilte er zur Ausmalung der Apollinariskirche in Remagen. 1856 wurder er Professor der Düsseldorfer Akademie, wo er bald zu den führenden Nazarenern zählte. Mit einer Empfehlung Müllers, der das Talent seines Schülers schätzte, wechselte Gregor von Bochmann zu Oswald Achenbach, blieb aber bei diesem nur kurz.
Schon 1871 machte er sich – im Alter von nur 21 Jahren – selbständig. Einer seiner Mitschüler an der Akademie war Robert Gustav Meyerheim gewesen. Beide hatten sich angefreundet, und so teilten sie sich in den ersten Jahren ein Atelier in der Adlerstrasse. 1888 gab Gregor von Bochmann dieses Atelier auf und zog in ein neues im eigenen Haus in der Kurfürstenstrasse.
Wiederholte Reisen in die Heimat, aber auch an die holländische und belgische Küste gehörten in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu seinem Leben. Die dabei entstandenen Skizzen formten sich im Atelier zu jenen eindrucksvollen Bildern, die bis heute nichts von ihrer faszinierenden Wirkung verloren haben. Die Anerkennung liess nicht lange auf sich warten. Schon 1874 hatte ihm das Ölgemälde „Sonntagmorgen vor einer Kirche in Estland“ auf einer Ausstellung in Berlin eine Goldmedaille gebracht. Nun ging es Schlag um Schlag. 1887 erhielt er ein Preisdiplom der Dresdner Aquarell-Ausstellung, ein Jahr darauf eine silberne Staatsmedaille aus Wien. 1893 berief ihn die angesehene Akademie der Künste in Berlin zu ihrem ordentlichen Mitglied, zwei Jahre später erfolgte die Auszeichnung mit dem Professorentitel durch die Düsseldorfer Akademie.
Längst hatte inzwischen Gregor von Bochmann gesellschaftlich und familiär in Düsseldorf Fuss gefasst. Sein Haus in der Kurfürstenstrasse 18 [oder 12 ??], dem seine Ehefrau Emilie geborene Poensgen als guter Geist vorstand, wurde zum beliebten Treffpunt. 1878 wurde der erste Sohn geboren und nach dem Vater Gregor genannt. 1881, 1884 und 1888 kamen die Kinder Helene, Elisabeth und Ewald zur Welt.
Der Jahrhundertwende, die auch im Hause Bochmanns kräftig gefeiert wurde, folgte die Zeit der grossen Ausstellungen. Die grosse Kunstausstellung 1902 in Düsseldorf präsentierte seine Werke ebenso wie die Deutsche Kunstausstellung 1906 in Köln, wo ihm sogar ein eigener Saal zugestanden wurde. Eine eigene umfassende Ausstellung im gleichen Jahre im Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld enthielt 60 Ölgemälde, mehr als ein Dutzend Aquarelle und über 20 Zeichnungen.
Der Erste Weltkrieg änderte alles. Bereits zu Beginn fiel der älteste Sohn. In den folgenden Jahren blieb auch die Familie von Bochmann nicht von Hunger und Not verschont, waren es doch mit der verwitweten Schwiegertochter Marianne und zwei Enkelkindern sechs Personen, die es zu ernähren galt. Letztlich blieb nur der Tausch eigener Bilder gegen Lebensmittel.
Ein schwerer Schicksalsschlag traf Gregor von Bochmann – nach dem Soldatentod des ältesten Sohnes Gregor – erneut 1924: der zweite Sohn Ewald, der sich in der Nähe von Dresden als Arzt niedergelassen hatte, starb an einem Herzleiden.
Noch sechs Jahre blieben nunmehr dem grossen Künstler, der jetzt [die meiste Zeit] in Hösel wohnte. Das Ratinger Grün mag ihn zuweilen an die estnische Heimat erinnert haben. Am 12. Februar 1930 starb er hier. Seine Frau überlebte ihn 5 Jahre, bis 1935 auch sie der Tod in Hösel ereilte.
Der Kunstverein für die Rheinlande und Westfahlen widmete Gregor von Bochmann 1930 eine viel beachtete Gedächtnisausstellung. Sie vermittelte einen Eindruck von dem überaus grossen Oeuvre, das der Künstler hinterlassen hatte. Schon damals wurde deutlich, in welch unverwechselbarer Weise hier ein „Meister alter Art“ gewirkt hatte. Mensch und Natur malte er, wie sie sich ihm darboten – nicht verklärend, sondern in ihrer gewaltigen Eigenart. Hierzu Julia Homann, die Autorin des Begleittextes, der ich für viele Hinweise sehr dankbar bin: „Ihm ging es nicht um die Wiedergabe des Schönen. Viel wichtiger war es ihm, die Landschaft und ihre Bewohner in ihrer Eigenart festzuhalten, das „Echte“ darzustellen, und dies gelang dem Maler mit der ihm so eigenen realistisch-naturalistischen Malweise. Seine Gemälde sind geprägt von einer Liebe zur wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe: Das harte Leben der Fischer und der estnischen Landbevölkerung werden nicht verschönt, aber auch nicht kritisch, etwa im Sinne einer sozialen Anklage dargestellt.“
Es ist das kaum hoch genug einzuschätzende Verdienst der Galerie Körs, uns diesen grossen Vertreter der Düsseldorfer Schule wieder näherzubringen. Bis heute hat die kunsthistorische Forschung Gregor von Bochmann vernachlässigt. Um so mehr darf diese Ausstellung Aufmerksamkeit beanspruchen. Mit ihr kommt erneut ein Künstler zu Ehren, der den Namen Düsseldorfs in die Welt getragen hat. Hinzu tritt die Aktualität dieser Dokumentation im Hinblick auf die zu erwartende Osterweiterung der Europäischen Gemeinschaft und die Einbeziehung der baltischen Länder. Deren immer wieder gepriesene Schönheit ist hier, in den Bildern Gregor von Bochmanns, zu erahnen. Lassen Sie sich, sehr geehrte Damen und Herren, begeistern von einem Künstler, dessen koloristisch-subtile Malerei ihn weit hervorhob und der ein Gedenken der Art, wie es hier und heute geschieht, verdient hat.

Max Tauch