Gregor von Bochmann (1850–1930) - Der Maler als Zeichner

Ein Essay von Julia Hümme

Im Sommer 2014 zeigte das Ostholstein-Museum in Eutin in seinen Räumen im zweiten Obergeschoss eine Ausstellung zum zeichnerischen Werk des Malers Gregor von Bochmann (Abb. 1). Anlass dafür war eine gleichzeitig im Erdgeschoss laufende Ausstellung mit Exponaten aus der Sammlung der Dr. Axe-Stiftung unter dem Titel „Lebensbilder“. Hierbei handelte es sich um rund 60 zum Teil großformatige Genrebilder der Düsseldorfer Malerschule von Künstlern wie Ferdinand Sohn, Arthur Kampf, Andreas Achenbach oder auch Johann Peter Hasenclever, Carl Wilhelm Hübner und Fritz Sonderland. Auch Gregor von Bochmann war hier mit einer kleinen Strandszene aus Holland vertreten.


Gregor von Bochmann
im Lehnstuhl, 1901
Wir nutzten die Gelegenheit, Gregor von Bochmann exemplarisch aus der Menge der präsentierten Künstler herauszugreifen und uns mit über neunzig Arbeiten von seiner Hand der Zeichnung in der damaligen Zeit zu widmen: Ziel war es, mit Arbeiten eines einzelnen Malers den Besuchern zu verdeutlichen, dass – bei aller Dunkeltonigkeit, bei aller gewissenhaften Sorgfalt im Bildaufbau in den Ölgemälden des 19. Jahrhunderts ganz allgemein – die Künstler jener Zeit in ihrer zeichnerischen Arbeit, ob für ihre Studien oder für bis ins Einzelne ausgeführte Blätter, in der Regel ganz anders an ihr Motiv heran gingen – ein Ausstellungskonzept, das aufging: Denn Gregor von Bochmann selbst spiegelt in seinem künstlerischen Schaffen beide sich so deutlich voneinander unterscheidenden Facetten in seinem Werk wider: War er als Maler einer naturalistischen, detailgetreuen und wohlkomponierten Darstellungsweise verpflichtet, löste er sich in seinem zeichnerischen Schaffen von jeglichen akademischen Prinzipien der Motiv-Wiedergabe.

Gregor von Bochmann ist wie viele seiner Kollegen aus jener Zeit, die keine Lehrtätigkeit an der Akademie ausübten, weitgehend in Vergessenheit geraten – zu Unrecht, wie sich bereits vor über zehn Jahren bei meinen Forschungen zu Leben und Werk Gregor von Bochmanns herausstellte und schließlich auch die Eutiner Ausstellung für das zeichnerische Werk verdeutlichte. Denn der Maler war nicht nur ein Künstler, dessen Schaffen geprägt ist von einer besonderen Beobachtungsgabe sowie Darstellungs- und Ausdruckskraft, sondern er war in besonderem Maße auch kunstpolitisch weit über die rheinländischen Grenzen hinaus aktiv. So gründete er, um nur zwei Beispiele zu nennen, in Düsseldorf – zeitgleich zur ersten deutschen Sezession in München – 1892 die sezessionistisch geprägte „Freie Vereinigung Düsseldorfer Künstler“, in der er sich in einer Vorreiterstellung vehement für die Belange der jüngeren Künstlergeneration und ihre neuen künstlerischen Positionen einsetzte. Grund dafür waren länger währende Auseinandersetzungen zwischen jungen und etablierten älteren Künstlern innerhalb der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft um eine Modernisierung des Ausstellungswesens. Im Juni 1892 kam es zum Austritt von 46 Künstlern unter der Führung Gregor von Bochmanns aus dem Lokalverein der Deutschen Kunstgenossenschaft und gemeinsam mit Gleichgesinnten zur Gründung der „Freien Vereinigung Düsseldorfer Künstler“ [1].
In der Folge engagierte sich Gregor von Bochmann auch weiterhin lokal und überregional auf kunstpolitischer Ebene: So gehörte er 1903 mit Max Liebermann, Lovis Corinth, Franz von Stuck, Henry van de Velde, Alfred Lichtwark und vielen anderen zu den Mitbegründern des „Deutschen Künstlerbundes“ in Weimar. Ziel war es, eine vom (Kaiser-)Staat unabhängige Kunst und einen künstlerischen Pluralismus, der sowohl moderne als auch traditionelle Tendenzen in sich vereinte, zu fördern [2].


„Rast bei der Feldarbeit“, um 1890
Von-der-Heydt-Museum, Wupp.

Trotz seines kunstpolitischen Engagements und seines Einsatzes für die modernen Strömungen in der Kunst, die ihm den Ruf eines „Führers der Jungen“ einbrachten [3], blieb Gregor von Bochmann in seiner Malerei seinem ganz eigenen Stil treu, der von einem akademischen (durchaus von seinem Lehrer Oswald Achenbach und den Traditionen der Düsseldorfer Malerschule beeinflussten) Bildaufbau und einem zumeist brauntonigen, monochromen Kolorit geprägt war (Abb. 2). Kunstkritiker bezeichneten ihn um die Jahrhundertwende folglich in seiner Malerei als „altmeisterlich“ [4] und als einen „Vertreter des gediegenen Düsseldorfs“ [5] – ein Gegensatz zwischen liberaler Kunstauffassung und eigenem konservativen Malstil, den Gregor von Bochmann zeitlebens in seiner Person vereinte und der ihn nach Auffassung vieler seiner rheinischen Kollegen in Verbindung mit seinem Wirken zu einer der stärksten Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit in Düsseldorf machte [6].

Gregor von Bochmann wurde 1850 als Sohn eines deutsch-baltischen Forstbeamten in Estland geboren. Schon früh fiel seinem Zeichenlehrer Theodor Albert Sprengel, der selber an der Düsseldorfer Akademie studiert hatte, sein Talent auf. 1868 konnte sich der achtzehnjährige Gregor von Bochmann schließlich mithilfe eines Stipendiums an der Düsseldorfer Akademie einschreiben und ging somit nicht wie viele seiner Landsleute an die Akademie nach St. Petersburg. In Düsseldorf befanden sich zu jenem Zeitpunkt bereits zwei seiner Landsleute an der Akademie: Der Historienmaler Eduard von Gebhardt (18381925) und der Landschafter Eugène Dücker (18411916). In späteren Jahren wurden von Gebhardt, Dücker und von Bochmann in der Fachliteratur vielfach „das Dreigestirn aus dem Baltenlande“ genannt [7].


„Häuser in Zons“, 1870

Die Statuten der Akademie sahen vor, dass zuerst die Elementarklasse absolviert wurde, in der das freie Handzeichnen und das Kopieren von Zeichnungen gelehrt wurden, bevor der Student in die folgenden Vorbereitungskurse eintreten durfte [8]. Daran schlossen sich die gattungsspezifischen Ausbildungskurse an.
Gregor von Bochmann besuchte die Elementarklasse nur ein Dreivierteljahr und wechselte alsbald 1869 in den Vorbereitungskurs, in dem unter anderem das Kopieren von Gemälden gelehrt wurde [9]. Bereits aus dieser frühen Zeit existieren Blätter, die mit feinem Bleistiftstrich noch ganz das Bemühen des jungen Schülers um die richtige Perspektive und die proportional richtige Wiedergabe jedes noch so kleinen Details verdeutlichen. Sie belegen die Ernsthaftigkeit, mit der der Studierende seine Ausbildung betrieb. Thematisch sind es hier vor allem Ansichten von Bauwerken aus der näheren Umgebung Düsseldorfs (Abb. 3) und im Alltag beobachtete Szenerien mit Kindern und Eltern, die ihn zu einer Darstellung reizten. Gerade bei diesen Blättern zeigt sich bereits die auch für seine Ölbilder typische Verknüpfung von Landschaft und Mensch. Es existieren aus dieser frühen Zeit darüber hinaus auch sehr ansprechende Arbeiten mit Wasserfarben, die bei aller Studienhaftigkeit bereits eine für den jungen Studenten erstaunlich großzügige Bildauffassung zeigen.

Gemeinsam mit Gregor von Bochmann sind in den Schülerlisten der Düsseldorfer Akademie aus den Jahren 1868/69 die beiden bedeutendsten Landschaftsmaler Schleswig-Holsteins aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verzeichnet, was für das Ostholstein-Museum von besonderem Interesse ist: Hinrich Wrage (18431912) und Hans Peter Feddersen (18481941). Hinrich Wrage betrieb drei Jahrzehnte sehr erfolgreich seine Malschule im Eutin benachbarten Bad Malente-Gremsmühlen, so dass sich mehrere Ölbilder des Künstlers im Bestand des Ostholstein-Museums befinden. Kontakte zwischen Wrage und von Bochmann über die Studienzeit hinaus sind nicht belegt. Aber Hans Peter Feddersen, der später in Nordfriesland lebte und dessen Werke noch heute auf dem Kunstmarkt überregional sehr begehrt sind, verband mit Gregor von Bochmann ab jenen frühen Studientagen in Düsseldorf eine enge Freundschaft, die mit Heirat der ältesten Kinder, Gregor II. von Bochmann und Marianne Feddersen, eine zusätzliche familiäre Bindung bekam.

Abb 4
Ausladen eines Schiffes bei Sturm,
1869

Gregor von Bochmann brach den Vorbereitungskurs 1870 vorzeitig ab. Er hatte gehört, dass Oswald Achenbach (18271905), einer der bedeutendsten Vertreter der Düsseldorfer Malerschule und schon damals berühmter Landschaftsmaler, die Akademie als Lehrer verlassen wollte [10]. Er bewarb sich (unter anderem mit seinen Zeichnungen) um Aufnahme in dessen Klasse, hatte Erfolg und konnte noch einige Stunden bei Achenbach und schließlich bei dessen Nachfolgern Theodor Joseph Hagen und Albert Flamm studieren. Einflüsse seines berühmten Lehrers Achenbach sind in der Tat noch in seinem frühen malerischen Werk spürbar, in seinen Zeichnungen vor allem auch in dem Blatt mit dem Titel „Ausladen eines Schiffes im Sturm“ von 1869 (Abb. 4), das darüber hinaus in seinem Bildaufbau und der dramatischen Lichtführung sehr an ein frühes großes Ölbild mit dem Titel „Strand auf Sylt“ (1873) von Hinrich Wrage erinnert, das sich heute im Besitz der Kieler Kunsthalle befindet.
Der Lehrer hatte wertvolle Eindrücke hinterlassen, auch wenn Oswald Achenbach selbst Jahre später zu einem Freund über Gregor von Bochmann gesagt haben soll, „er habe den Schüler nichts lehren können, er habe alles von selbst gewusst“ [11]. Diese doch sehr wohlmeinende Überlieferung von Carl Wilhelm Schleicher ist jedoch durch Fakten nicht zu belegen und deshalb sehr kritisch zu sehen. Allgemein wurde Gregor von Bochmann in der Literatur jener Zeit dennoch als „Frühfertiger“ bezeichnet [12], was seine frühen Arbeiten, insbesondere auch seine Zeichnungen, in all ihren Facetten anschaulich verdeutlichen.

Bereits 1871, nach nur drei Jahren an der Akademie, machte sich Gregor von Bochmann selbständig und bezog ein eigenes Atelier in Düsseldorf. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation in der Stadt konnte zu jener Zeit kaum besser sein: Die Künstler genossen hohes Ansehen und waren gesellschaftlich etabliert. Nicht selten heirateten Künstler Töchter alteingesessener Düsseldorfer Familien, und auch Gregor von Bochmanns Frau Emilie von Bochmann, die er 1877 heiratete, stammte aus der bekannten, alten Industriellenfamilie Poensgen aus den Rheinlanden. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor.
Die Voraussetzungen in Düsseldorf für ein eigenes Atelier waren also äußerst günstig und die Auszeichnungen, Medaillen und Ausstellungsangebote, die Gregor von Bochmann von Beginn seiner Selbständigkeit an bekam, ebenso wie die Preise, die seine Bilder schon früh auf dem Kunstmarkt erzielten, belegen zum einen sein malerisches Können, zum andern aber auch seine herausragende Stellung als Künstler. Er traf mit seiner Kunst den Nerv und den Geschmack seiner Zeit [13].


„Alter Fischmarkt in Reval“, 1886,
Stiftung museum kunst palast D.

Ohne einen Blick auf das malerische Werk Gregor von Bochmanns lassen sich die Besonderheiten im zeichnerischen Werk nur schwer verdeutlichen. Als Landschafter war er ein „Meister alter Art“, wählte wie in dem Ölgemälde „Alter Fischmarkt in Reval“ (Abb. 5) vor allem eine tonige, monochrome Farbgebung für die Darstellung und nutzte – ganz im Sinne seiner Lehrer und vieler Malerkollegen – eine spannungsreiche Lichtführung, um seine figurenreichen Landschaften aus Estland und später auch seine holländischen Strandmotive eindrucksvoll zu gestalten. Der Maler arbeitete dabei vom Dunklen in die Helligkeit, so dass seine Ölgemälde besonders stimmungsvoll auf den Betrachter wirken. Erst in späteren Ölbildern zeigen sich in Farbigkeit, Pinselführung und Pastosität großzügigere, durchaus impressionistische Tendenzen.


„Kurze Rast“, um 1895

Die beiden Hauptmotive, denen er sich durch die Jahrzehnte immer wieder in seinen Gemälden widmete, sind auch in seinen Zeichnungen die stets bestimmenden Themen: Es sind zum einen die estnischen Landschaften mit ihren Bauern, mit ihrer Arbeit und ihren Pferdefuhrwerken in rasender Fahrt, zum anderen die holländische Küste mit ihren Fischern und ihren Familien, die Gregor von Bochmann immer wieder darstellte. Holland (vornehmlich Katwijk) besuchte er ab 1874 auch aufgrund der geografischen Nähe regelmäßig, Estland jedoch nachweislich nur bis 1879 [14]. Doch die Kindheitserfahrungen und -erinnerungen waren so nachhaltig, dass die Motive seiner Heimat von ihm durch sechs Jahrzehnte hindurch immer wieder aufgenommen wurden (Abb. 6). Er selbst schrieb 1929 dazu in den „Autobiographischen Plaudereien“: „Das Geburtsland wurde für mich bestimmend als Wegweiser meiner Kunstäußerung [...]. Auf den Gütern des Sprengels meines Vaters empfing ich wohl die nachhaltigsten Eindrücke. Wie genoß ich die köstlichen Fahrten, die ich mit dem Gespann der Gutsbesitzer durchs Land machen durfte, immer schauend, beobachtend und zeichnend, und den Charakter von Land und Leuten so gründlich kennenlernend!“ [15]. Schon als Kind hielt er diese Erlebnisse mit Bleistift fest.

Abb 7: „Apfelpflücker“, 1876
Abb 8
Abb 8:„Vor einem estnischen
Gehöft“, 1925
Abb 9
Abb. 9: „Estnische Bauern“, um 1885

Die Zeichnungen Gregor von Bochmanns (ob mit Bleistift, Feder oder auch Aquarellfarben) nehmen eine herausragende Stellung in seinem Werk ein und sind ihrer Eigenart und hohen Qualität wegen ein eigenständiger und wichtiger Teil seines künstlerischen Schaffens. Während die Zeichnungen der ersten Jahrzehnte auf eine rein naturalistische Wiedergabe zielen (Abb. 7), unterscheiden sich gerade die späten Arbeiten deutlich in ihrem Erscheinungsbild und ihrer Wirkung (Abb. 8).
Grundsätzlich muss man bei diesen Arbeiten – soweit möglich – zwischen Studien, vorbereitenden Skizzen und selbständigen Zeichnungen unterscheiden: Die Studien und Skizzen dienten gemeinsam mit Fotografien und Postkarten als Arbeitsmaterial und Erinnerungsstützen für das Malen im Atelier (Abb. 9). Die anderen wiederum waren fertige, für den privaten Gebrauch gedachte Zeichnungen wie zum Beispiel die sehr anrührenden Märchenbuch-Illustrationen aus dem Jahr 1878 oder die kleinen Gelegenheitszeichnungen von und für seine Familie (Abb. 10). Diese Zeichnungen sind meist exakt datiert – ein Umstand, der bei den Skizzen und auch bei vielen seiner Ölbilder fehlt.
Zu diesen sogenannten Familienblättern gehören auch zahlreiche Scherenschnitte, die einen besonderen Reiz ausüben. In der Familie ist überliefert, dass Gregor von Bochmann diese oftmals ohne hinzugucken unter dem Tisch anfertigte (Abb. 11).

Abb 10: „Gregor II.“, um 1880
Abb. 11: „Schusterjunge“, um 1890, Scherenschnitt
Abb. 12: „Auf dem Felde“,
1877

Bei der Einschätzung des Wertes seines zeichnerischen Werkes stand Gregor von Bochmann ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts: Studien und Skizzen waren im Allgemeinen nicht für den Verkauf bestimmt und wurden auch nicht in Ausstellungen gezeigt. Sie waren reines persönliches Arbeitsmaterial, auf das bei Bedarf jederzeit zurückgegriffen werden konnte. Der Künstler hielt diese Arbeiten weder für verkaufs-, noch für ausstellungswürdig, was wir heute in vielen Fällen anders beurteilen würden – und im Falle Gregor von Bochmanns mit unserer Eutiner Ausstellung im vergangenen Jahr auch getan haben.

Abb 13: „In rasender Fahrt“, 1912, Feder
Abb. 14: „Im Gespräch“, um 1910, Feder
Abb. 15: „Sommerspaziergang“, 1877

Insbesondere bei den Zeichnungen mit Bleistift braucht man ein gutes Auge, um auch das kleinste Detail zu erkennen. Denn die Motive sind in den meisten Fällen mit so feinem Strich festgehalten, dass man schon genau hinsehen muss, um alle Einzelheiten zu erfassen (Abb. 12). Während diese Zeichnungen von Ruhe und einer detaillierten Wiedergabe des Gesehenen geprägt werden, sind seine späteren Federzeichnungen häufig durch eine besondere Dynamik gekennzeichnet (Abb. 13). Selbst wenn das Motiv nicht in Bewegung ist, entsteht in dieser Technik durch den schnellen, fast nervösen Strich ein gänzlich anderer Eindruck als bei den Bleistiftzeichnungen des Künstlers (Abb. 14).
Grundsätzlich war das Zeichnen für den Maler eine einfache Möglichkeit, seine Eindrücke direkt vor Ort, immer und überall festzuhalten. Aber auch aus der Erinnerung heraus fertigte er Zeichnungen in Bleistift und Feder. Es existieren folglich (vor allem in Privat- und Familienbesitz) große Konvolute seiner Zeichnungen in den verschiedenen Techniken.

Die in der Regel kleinformatigen Arbeiten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie sein technisches Können, seine genaue Beobachtungsgabe, sein Gefühl für Formen und Perspektive auf besondere Weise veranschaulichen. Sie zeigen als „künstlerisches Handwerkszeug“ im Vergleich zu seinen Ölgemälden aber auch eine geringere Entwicklungsspanne.
Gregor von Bochmann studierte die Landschaft mit ihren Menschen eingehend und stellte sie in allen Einzelheiten und mit allen Besonderheiten dar (Abb. 15). Dabei wirkt die Betonung der Details auf den Betrachter keineswegs übertrieben. Vielmehr ist es neben dem kleinen Format gerade diese Detailgenauigkeit, die seine Zeichnungen zum großen Teil so intim wirken lässt. Viele seiner Studien von Frauen und Kindern erscheinen in diesem Sinne geradezu liebevoll in der Wiedergabe, während seine vielfigurigen Blätter beispielsweise mit Marktszenen dem Betrachter den Eindruck vermitteln, direkt am Geschehen teilzuhaben.
Gregor von Bochmann war in Düsseldorf zwar als Landschaftsmaler tätig, war aber nicht – wie zum Beispiel sein Kollege Eugen Bracht – ein reiner Landschafter. Stets finden sich Menschen und oft Tiere in seinen Bildern. Während der Mensch in seinen Ölgemälden aber lediglich ein wichtiges Beiwerk darstellt und eher als belebende Staffage denn als eigentliches Bildmotiv gedacht ist, nimmt er in den Zeichnungen eine herausgehobene Stellung ein: Der Mensch in seinem alltäglichen Treiben ist es, der stets im Mittelpunkt seines Interesses steht: Männer, Frauen und Kinder – bei der Arbeit, beim Spiel oder im Gespräch. Dabei war Gregor von Bochmann ein Beobachter, der sowohl in seinen Ölbildern als auch in seinen Zeichnungen sein Motiv weder geschönt darstellte, noch weitergehende Aussagen damit verband, etwa zu sozialen Fragen oder anderen politischen Entwicklungen. Gerade in seinen Zeichnungen ging es ihm um eine spontane Bestandsaufnahme, manchmal sogar mit humoristischen Anklängen (Abb. 16).


Abb.16:„Großmutter mit Kindern“
um 1885

Es ist schon ausgeführt worden, dass seine Studien für Gregor von Bochmann vor allem Gedächtnisstützen waren, in denen er um des gewonnenen Eindrucks willen das Gesehene spontan zu Papier brachte. Sie dienten weniger als direkte Vorlagen, die man eins zu eins in ein späteres Ölbild umsetzte. Nur vereinzelt lassen sich derartige Arbeiten konkret als Versatzstücke in einem Gemälde nachweisen wie etwa bei einer frühen kleinen Federzeichnung von zwei Bettlern. Diese beiden Männer, einer stehend, einer kauernd, finden sich in dem Ölgemälde „Sonntagmorgen vor einer Kirche in Estland“ von 1874, das Jahrzehnte lang als verschollen galt und erst vor drei Jahren auf dem Kunstmarkt wieder auftauchte. Heute befindet es sich in der Ostdeutschen Galerie Regensburg.


Abb. 17: „Pferdegespann auf
einer Brücke“, um 1905, Aquar.

Neben der Bleistift- und Federzeichnung stellt das Aquarell, das man bei einer eingehenden Betrachtung des zeichnerischen Werkes Gregor von Bochmanns durchaus hinzu ziehen darf, den Maler hinsichtlich seines künstlerischen Könnens noch einmal in einer ganz anderen Facette dar: In den Aquarellen, bei denen es sich oftmals ebenfalls um in der Natur angefertigte Studien handelt, erweist sich Gregor von Bochmann nahezu als Impressionist. In lockerem Pinselstrich löst er wie etwa in dem Aquarell „Heuwagen auf einem Feld“ die Motive flächenhaft auf, die Farben werden heller und heben sich stark voneinander ab. Auch das Blatt „Pferdegespann auf einer Brücke“ lohnt eine genauere Betrachtung (Abb. 17): Hier erkennt man die Arbeitsweise des Künstlers. Man sieht, dass Gregor von Bochmann in dieser Technik ganz ohne Vorzeichnung auskam und zunächst das Motiv großzügig in blassem Farbauftrag anlegte, bevor er schließlich die zentralen Bildgegenstände näher herausarbeitete. Schon in diesem frühen Stadium ging er ins Detail: So hat der Kutscher des Pferdegespanns bereits detailliert ausgeführte Gesichtszüge. Man erkennt sofort, worauf der Maler in dieser Arbeit besonderen Wert legte.

Gregor von Bochmann befand sich in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts und im ersten Jahrzehnt des darauffolgenden Jahrhunderts auf dem malerischen und kunstpolitischen Höhepunkt seiner Künstlerlaufbahn; nach dem 1. Weltkrieg jedoch wurde es ruhiger um ihn. Er zog sich vermehrt ins Privatleben zurück, zumal seit 1915 seine beiden Enkelkinder nach dem Tod seiner Schwiegertochter und seines Sohnes Gregor, der mittlerweile ein bekannter Bildhauer in Düsseldorf gewesen war, bei ihm aufwuchsen. Trotz mannigfaltiger neuer Strömungen in der Kunst nach der Jahrhundertwende blieb Gregor von Bochmann seinem als „altmeisterlich“ geltenden Malstil treu; dessen ungeachtet blieb er in den Folgejahren bis zu seinem Tod 1930 ein geschätzter und anerkannter Künstler in Düsseldorf und weit darüber hinaus.

Julia Hümme

Dieser Textbeitrag erschien in einer Publikation der Universität Bonn und der Dr. Axe-Stiftung anlässlich der Tagung „Die Düsseldorfer Malerschule – Gründerzeit und beginnende Moderne“ (14.-16. Mai 2015, Bonn).

[1] Vgl. Julia Hümme, Gregor von Bochmann (1850–1930). Leben und Werk eines deutschbaltischen Malers in Düsseldorf, Kiel 2007, 74–80. Berichte zu den damaligen Ereignissen finden sich auch bei Fred Vezin, „Zum Ableben Gregor von Bochmanns“, in: Die Düsseldorfer Nachrichten, 17. Februar 1930, o.S.

[2] Vgl. Martina Wehlte-Höschele, Der deutsche Künstlerbund im Spektrum von Kunst und Kulturpolitik des Wilhelminischen Kaiserreichs, Heidelberg 1993, 108.

[3] Vgl. Wilhelm Schäfer, „Gregor von Bochmann“, in: Die Rheinlande, XI. Jg., Düsseldorf 1911, 109–120, hier 109; W. Gischler, „Die Rheinprovinz“, in: Bildhauer und Maler in den Ländern am Rhein, Düsseldorf 1913, 115–140, hier 134ff.

[4] Wilhelm Schäfer, „Gregor von Bochmann“, in: Die Rheinlande – Monatsschrift für deutsche Kunst und Dichtung, IV. Jg. (1903/04), Heft 4/5, Düsseldorf 1904, 148–152, hier 150; Thieme, Ulrich/Becker, Felix (Hrsg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart (37 Bände), Leipzig 1907, Bd. 4, 155.

[5] Wernher Witthaus, „Gregor von Bochmann †“, in: Die Düsseldorfer Nachrichten, Düsseldorf 1930, o.S.

[6] Vgl. Friedrich Schaarschmidt, Zur Geschichte der Düsseldorfer Kunst – insbesondere im XIX. Jahrhundert, Düsseldorf 1902, 338ff.

[7] Vgl. Wilhelm Neumann, Baltische Maler und Bildhauer des XIX. Jahrhunderts – Biographische Skizzen mit den Bildnissen der Künstler und Reproductionen nach ihren Werken, Riga 1902, 133; „Trauerfeier für Professor v. Bochmann – Die Abschiedsstunde in der Kapelle des Nordfriedhofes“, in: Die Düsseldorfer Nachrichten, 16. Februar 1930, o.S.; Helene von Bochmann, Die Jugendzeit des Malers Gregor von Bochmann (1850 –1930), Düsseldorf o.D., o.S (unveröffentlicht).

[8] Vgl. Rudolf Wiegmann, Die Königliche Kunst-Akademie zu Düsseldorf. Ihre Geschichte, Einrichtung und Wirksamkeit und die Düsseldorfer Künstler, Düsseldorf 1856, 31f.

[9] Vgl. die Schülerlisten der ersten Vorbereitungsklasse im Antikensaal des Studienjahres 1868/69 (Nr. 340R, Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf).

[10] „Eines Tages teilte mir Gebhardt mit, daß er gehört, daß Oswald Achenbach sich demnächst von dem Lehramt der Akademie zurückziehen würde; es wäre daher Eile nötig, wenn ich seine Landschaftsklasse noch besuchen wolle. Rasch entschlossen kam ich unter Beigabe meiner Arbeiten mit dem Gesuch um Aufnahme ein, und in kurzer Zeit hatte ich meinen Platz in der Landschaftsklasse.“ (Gregor von Bochmann, „Autobiographische Plaudereien rheinischer Künstler“, in: Mitteilungen des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf 1929/30, Heft I, 7–9, hier 8).

[11] Vgl. Carl Wilhelm Schleicher, „Gregor von Bochmanns Meisterschaffen. Zur Gedächtnisausstellung im Kunstverein für Rheinland und Westfalen“, in: Der Mittag, 11. April 1930, Nr. 86, o.S.

[12] Vgl. Gischler 1913 (wie Anm. iii), S. 115–140, hier 136.

[13] Hümme 2007 (wie Anm. i), 60–69.

[14] Id. (wie Anm. i), Anm. 233.

[15] Bochmann 1929/30 (wie Anm. x), 7.